Thesaus Triennale – Dass Herz

– so war das in­iti­ie­ren­de Kol­lo­qui­um für das Thesaurus-Pro­jekt über­schrie­ben, das 2018 im neu­en Zen­tral­gebäude (Da­ni­el Li­bes­kind) sei­nen An­fang nahm. Teilnehmer/innen der ers­ten of­fe­nen Run­de wa­ren Nora Gom­rin­ger, Fe­li­ci­tas Hop­pe, Noémi Kiss, Li­li­an Robl so­wie Wolf­gang Kemp (Kunst­ge­schich­te), Yvon­ne Förs­ter (Phi­lo­so­phie), Ger­hard Lau­er (Di­gi­tal Hu­ma­nities), Bar­ba­ra Nau­mann (Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft), Ruth Neu­bau­er-Pet­zoldt (Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft), Eve­li­ne Good­man-Thau (Jüdi­sche Re­li­gi­ons- und Geis­tes­ge­schich­te), Achatz von Müller (Ge­schich­te) und Ul­ri­ke Stei­er­wald (Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft). Die fol­gen­de au­dio­vi­su­el­le Do­ku­men­ta­ti­on in 16 Tei­len ist nicht nur eine Einführung in das Pro­jekt, son­dern auch eine viel­stim­mi­ge Mo­du­la­ti­on des Bild­be­griffs HERZ und sei­ner Fi­gu­ra­tio­nen, in de­ren dy­na­mi­schen wie po­ly­va­len­ten Be­stim­mun­gen sich be­reits ex­em­pla­risch ers­te Rea­li­sie­rungsmöglich­kei­ten ei­nes The­sau­rus – d.h. ei­nes Schatz­hau­ses der der Sprache inhärenten Sprachbildlichkeit, der Sprachbildfahrzeuge, abzeichnen.

1. ULRIKE STEIERWALD: EINE INITIATION (EINLEITUNG – VORSTELLUNG)

In­itia­tio­nen voll­zie­hen Ri­tua­le der Einführung in ei­nen ge­mein­schaft­li­chen Ent­wurf. Schließlich soll­te je­des Pro­jekt zu­al­ler­erst ein Ent-WURF in die Zu­kunft sein. Der THE­SAU­RUS nimmt das Po­ten­ti­al der Spra­che, in Möglich­kei­ten und da­mit fik­tio­nal zu den­ken, sehr ernst. Die Spra­che wird beim Wort, die Vor­stel­lung beim Bild ge­nom­men. Wenn es ge­lingt, das HERZ zu the­sau­rie­ren, wi­der­setzt sich dies nicht zu­letzt den Apo­lo­ge­ten ei­ner post­fak­ti­schen Ge­gen­wart.
(Ul­ri­ke Stei­er­wald)

2. FELICITAS HOPPE / ULRIKE STEIERWALD: SCHÄTZE – SCHATZHAUS – THESAURUS

Man fin­det in Pie­ter Brueg­hels »Die nie­derländi­schen Sprichwörter«  das Sprach­bild »Den Teu­fel aufs Kis­sen bin­den«. Der The­sau­rus ist so ein klei­ner Ver­such, dies zu tun. Und also: Ich bin da­bei!
(Fe­li­ci­tas Hop­pe)

3. VERWIRKLICHUNGEN DES MÖGLICHEN JENSEITS DER MACHBARKEIT (GESPRÄCH)

Das Fa­cet­ten­mo­dell des The­sau­rus be­geis­tert mich: Eine Rei­se durch RAUM und ZEIT, mit­hin also BE­WE­GUNG, die durch das Aus­lo­ten des Mögli­chen mit­hil­fe der li­te­ra­ri­schen FORM zur AN­SCHAU­UNG wird – das kann ein­zig die Li­te­ra­tur, die Spra­che. Ge­nau so schrei­be ich.
(Fe­li­ci­tas Hop­pe)

4. LILIAN ROBL: ABSCHWEIFUNG UND KREIS

Ich hat­te ein un­ter­schied­li­ches In­ter­es­se in die­sen Vi­de­os: Als ich den Be­griff der AB­SCHWEI­FUNG un­ter­sucht habe, ver­such­te ich, den Vor­gang des Ab­schwei­fens, der ja dif­fus er­scheint, be­schreib­bar zu ma­chen oder eine Struk­tur in ihm zu fin­den bzw. ihm eine zu ge­ben. Bei der Un­ter­su­chung des Be­grif­fes KREIS habe ich eher ver­sucht, ihm eine fes­te De­fi­ni­ti­on zu ent­zie­hen oder ihn zu ver­un­si­chern.
(Li­li­an Robl)

5. SPRACHBILDER – RELATIONEN – TEXTBILDLICHKEIT (GESPRÄCH)

Das Pro­jekt ist ein Spiel mit nor­ma­ti­ven Sys­te­men – mit of­fe­nem Aus­gang. Das Verhält­nis von Text und Bild ist nicht il­lus­tra­tiv, da sich bei­de ge­gen­sei­tig ver­le­ben­di­gen. Es wer­den Be­gren­zun­gen und Zu­ord­nun­gen vor­ge­nom­men, und mit de­nen wird eben ge­spielt. Die Per­spek­ti­ve wird im­mer wie­der in Fra­ge ge­stellt, aber sie wird natürlich als Grund­be­din­gung an­ge­nom­men, weil sich sonst nichts er­eig­nen würde – das ist das of­fe­ne Ord­nungs­sys­tem ei­ner Spra­che der Kunst.
(Yvon­ne Förs­ter / Fe­li­ci­tas Hop­pe)

6. WOLFGANG KEMP: EINE HOMMAGE AN WILLIAM STYLE ODER »DIE WELT AUFS HERZ BINDEN«

Spra­che ist, wie es im Pro­jekt­ent­wurf heißt, Dis­po­nie­rung. Und auch die Bil­den­de Kunst dis­po­niert – ja, Dis­po­nie­rung ist hier noch sinnfälli­ger und sin­nesfälli­ger. Doch das ein­fachs­te Merk­mal des Her­zens ist sei­ne ver­bor­ge­ne, in­ne­re Po­si­ti­on, und die kann die Ma­le­rei nicht zei­gen. Vom In­nen spricht nur die In­schrift in die­sem Gemälde: »Mi­cro­cos­mus Mi­cro­cos­mi non im­ple­tur Me­ga­cos­mo«, das be­deu­tet »Das Herz ist größer als die Welt«. Aber in un­se­rem Pro­jekt er­scheint die­se Über­set­zung schon als falsch: IM­PLE­RE / ERFÜLLEN ist ein Vor­stel­lungs­feld des The­sau­rus, vor dem die Ma­le­rei pas­sen muss.
(Wolf­gang Kemp)

7. MICROCOSMUS MICROCOSMI NON IMPLETUR MEGACOSMO (GESPRÄCH)

Man kann die Fülle der Welt dar­stel­len, um zu zei­gen, dass das nicht vor- und dar­stell­ba­re Kleins­te das Ei­gent­li­che ist. Vie­le der Bil­der und Ge­dich­te des Ba­rock ma­chen die­sel­be Aus­sa­ge zwei- oder drei­mal, um sie gleich­zei­tig durch­zu­strei­chen. Das ist, bei al­ler Iro­nie, sehr ernst zu neh­men – die Ord­nung des Bil­des selbst und die Schrift kon­fi­gu­rie­ren das HERZ als eine nicht vor- und dar­stell­ba­re Erfüllung.
(Ger­hard Lau­er / Ul­ri­ke Stei­er­wald)

8. NORA GOMRINGER: SPRACHSTIMMKÖRPER

Auch wer stimm­los ist, be­sitzt Spra­che: So kann Lektüre, wenn als Text be­grif­fen, ja im­mer auch zum akus­ti­schen Phäno­men ge­wan­delt wer­den. Die Schrift ermöglicht die Über­tra­gung von Ge­dan­ken durch die ZEIT in den RAUM, über die ei­ge­ne AN­SCHAU­UNG hin­aus durch BE­WE­GUNG in ständig neue FORM.
(Nora Gom­rin­ger)

9. YVONNE FÖRSTER: VON KÖRPERN, ZEICHEN UND LISTEN

Be­trach­tet man das Ge­flecht von Wor­ten, Ges­ten, Be­we­gun­gen, Ver­wei­sun­gen, dann be­trach­tet man zu­gleich die Spra­che im Wer­den, in sta­tu nas­cen­di (Mer­leau-Pon­ty). Die­ses Wer­den zu be­schrei­ben, ist das An­lie­gen des The­sau­rus, der auf der Ba­sis von In­ter­dis­zi­pli­na­rität und neu­en Me­di­en sprach­li­che Pro­zes­se nicht fest­schrei­ben, son­dern in ih­rem Wer­den zur Dar­stel­lung brin­gen will.
(Yvon­ne Förs­ter)

10. DISPONIERUNG – NEGATION – SCHÖPFUNG – PREISGABE (GESPRÄCH)

Die Fra­ge nach der Ob­jek­ti­vier­bar­keit von As­so­zia­tio­nen ist eine noch wun­de Stel­le des Pro­jekt­ent­wurfs. Wenn wir die ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven der Bild­lich­keit – also die Sprach­fi­gu­ren und Bild­be­grif­fe –  sam­meln und die­se Samm­lun­gen nicht nur ad­di­ti­ve Ak­ku­mu­la­tio­nen sein, aber auch kei­ne hier­ar­chi­schen Re­la­tio­nen ab­bil­den sol­len, so stellt sich die Fra­ge: Wie können wir die­se En­er­gie be­schrei­ben,  die das ir­gend­wie zu­sam­men­bin­det? Man vi­sua­li­siert et­was, das al­go­rith­misch ge­zeigt und nach­voll­zo­gen wer­den kann, aber zu­gleich frei ist und da­her spe­ku­la­tiv wirkt. Das ist die Poe­tik des The­sau­rus. Die­se aus ih­rer schöpfe­ri­schen (Kunst) wie ob­jek­ti­vie­ren­den (Wis­sen­schaft) In­ten­tio­na­lität her­aus zu vi­sua­li­sie­ren und da­durch zu rea­li­sie­ren, sind Auf­ga­be und Ziel des Pro­jek­tes.
(Yvon­ne Förs­ter / Bar­ba­ra Nau­mann / Ul­ri­ke Stei­er­wald)

11. GERHARD LAUER: FIGURATIONEN – DIGITALE MODELLIERUNG

Die mo­der­ne Wis­sen­schaft sam­melt seit dem 17. Jahr­hun­dert Da­ten, um sie kri­tisch zu be­trach­ten, zu be­schrei­ben und da­mit zu the­sau­rie­ren. Die so ent­ste­hen­den Lis­ten und Kon­kor­d­an­zen ma­chen Zu­sam­menhänge, Re­la­tio­nen sicht­bar. Nicht das ein­zel­ne Wort, son­dern die Wor­te, die da­vor und da­hin­ter ste­hen,  er­ge­ben die je­wei­li­gen Be­deu­tungsmöglich­kei­ten der Wörter. Heu­te sind alle Ver­su­che, die di­gi­ta­len >Lis­ten< in der öffent­li­chen Hand zu hal­ten (VD16/​17/​18, Gal­li­ca, Evans, ECCO, Deut­sches Text­ar­chiv etc.) nichts ge­gen die ca. 40 Mil­lio­nen durch Goog­le als Voll­tex­te er­schlos­se­nen Bücher. Die­se Er­fas­sun­gen fin­den in ge­schlos­se­nen, in­trans­pa­ren­ten Räumen statt. Die ge­genwärti­ge Oli­go­pol­bil­dung in der Öko­no­mie sprach­li­cher Er­fas­sung weist auf die po­li­ti­sche, kri­ti­sche Di­men­si­on des The­sau­rus hin. (Ger­hard Lau­er)

12. INTERESSEN – VALENZEN: KONFIGURATIONEN DES MÖGLICHEN (GESPRÄCH)

Das Po­li­ti­sche je­des Pro­jek­tes liegt im je­wei­li­gen Er­kennt­nis­in­ter­es­se. Das Wort Kon­fi­gu­ra­ti­on ist hier sehr wich­tig: Es geht um Va­len­zen, die nicht un­be­dingt das Wort vor­her oder nach­her re­gie­ren, son­dern Kon­fi­gu­ra­tio­nen her­vor­brin­gen. Ihre Be­stim­mung kann nur in ei­ner Zu­sam­men­ar­beit von Wis­sen­schaft und Kunst rea­li­siert wer­den, und zwar in der Fra­ge, wie aus künst­le­ri­scher Po­si­ti­on sprach­li­che Möglich­keitsräume kon­fi­gu­riert wer­den. Es geht nicht um eine Pro­gram­mie­rung künst­li­cher In­tel­li­genz, son­dern um Mo­del­lie­run­gen durch künst­le­ri­sche »In­tel­li­genz« – al­ler­dings jen­seits der ein­zel­nen Au­tor­schaft.
(Wolf­gang Kemp / Ul­ri­ke Stei­er­wald)

13. RUTH NEUBAUER-PETZOLDT: DAS MODELL DER MODELLE ZWISCHEN WAHRNEHMUNG UND VORSTELLUNG

Ein Mo­dell ist we­der Ko­pie noch Ab­bil­dung der Welt. Wir wer­den stets dar­an den­ken, dass wir die Welt nicht er­schaf­fen ha­ben, und sich die Welt nicht an un­se­re Glei­chun­gen hält … (Der­man/ Wil­mott). Der The­sau­rus fasst da­her die Idee vom Mo­dell des Mo­dells, vom Uni­ver­sal­mo­dell sprach­li­cher Mo­del­lie­rung, kon­se­quent eng. Aber un­ser Den­ken und un­se­re Spra­che be­we­gen sich im­mer zwi­schen Kon­kre­tem und Abs­trak­tem, zwi­schen Bild und Be­griff, zwi­schen Wahr­neh­mung und Vor­stel­lung – Spra­che ist eben Dis­po­nie­rung wie Mo­del­lie­rung.
(Ruth Neu­bau­er-Pet­zoldt)

14. NOÉMI KISS: ÜBERSETZUNG – GEOGRAPHIE EINER HERZLOSEN LANDSCHAFT

Es gibt eine Spra­che Ost­eu­ro­pas; es gibt also die Vor­stel­lung von Ost und West. Ich fra­ge, wel­che Wörter durch das Den­ken der Gren­ze ent­ste­hen oder wie sich Gren­zen zwi­schen Ost und West in Wörtern ent­fal­ten. Wie lässt sich das in ei­nem re­la­tio­na­len Sprach­gefüge the­sau­rie­ren? Ich habe den Ti­tel >Schmuck-/​Schatzkästchen< – wenn man so will, klei­ner The­sau­rus – für mein ei­ge­nes Buch gewählt, da ich auch dort Zi­ta­te, also die im Den­ken der Gren­ze vor­ge­fun­de­nen Sprach­fi­gu­ren und Bild­be­grif­fe, ständig über­prüfe, ob sie wirk­lich stim­men. (Noémi Kiss)

15. BARBARA NAUMANN: SCHRIFTBILDLICHKEIT (ROBERT WALSER ZUM BEISPIEL)

Wir sind über die­sen wun­der­ba­ren Be­griff der Bil­der­fahr­zeu­ge (War­burg), der im The­sau­rus in den Sprach­bild­fahr­zeu­gen auf­ge­nom­men und er­neut in Be­we­gung ver­setzt wird, auf die Fra­ge ge­kom­men, wie be­we­gen sich Text und Bild kon­kret auf­ein­an­der zu, und wie kann man über­haupt die­se Be­zie­hun­gen zwi­schen Text und Bild be­ob­ach­ten oder her­stel­len?
(Bar­ba­ra Nau­mann)

16. ACHATZ VON MÜLLER: AUF DEN SCHULTERN VON RIESEN – DAS HERZ LIEGT IM SCHATZ

Ich nähere mich dem The­ma aus ei­ner Welt an, die den The­sau­rus ei­gent­lich schon hat: Es ist die mit­tel­al­ter­li­che Kul­tur, in der die Span­nung zwi­schen ei­nem ge­si­cher­ten la­tei­ni­schen Sprach­fun­dus to­pi­scher Me­ta­phern und der un­end­li­chen Viel­falt und Va­ria­bi­lität ei­nes ei­ge­nen Den­kens und Spre­chens auf­bricht. Die Vi­si­ons-Rei­se „Il Teso­ret­to“ (um 1260) von Bru­n­et­to La­ti­ni bringt es be­reits zur Spra­che: Der Schatz der Dich­tung ver­wan­delt im Dich­ten den Schatz des Wis­sens in Le­ben.
(Achatz von Müller)